Das Heterodimer Fertilin (ADAM 1 und 2)

Fertilin ist ein heterodimeres Glykoprotein, bestehend aus einer a- und b-Untereinheit, und wurde zuerst aus einer Detergenz-Extraktion von Meerschweinchen-Spermatozoen aus der Cauda epididymis isoliert (Hardy et al., 1997). Beide Untereinheiten sind immunologisch verschieden und erfahren eine gegenseitige nichtkovalente Wechselwirkung. Das Heterodimer ist trotz der nichtkovalenten Wechselwirkung ein sehr stabiler Komplex und widersteht sogar der Behandlung mit SDS, was die Beobachtung erklärt, daß der monoklonale Antikörper mAK PH-1, der ein Epitop auf der b-Untereinheit bindet, das gesamte Heterodimer zu präzipitieren vermag (Blobel et al., 1990). Beide Untereinheiten werden in den spermatogenen Zellen der Testis als hochmolekulare "Precursor" exprimiert und in den Tubuli seminiferi contorti der Testis, der Ort, an dem die primären Spermatozyten entwickelt werden, weiter prozessiert (Hardy und Holland, 1996). Bis jetzt sind Homologe dieses Heterodimers aus den Testis vieler anderer Spezies, wie z.B. Mensch, Affe, Ratte, Kaninchen etc. isoliert und kloniert worden (Hardy et al, 1997).

Der strukturelle Aufbau von Fertilin

Die beiden Untereinheiten des Fertilins sind Prototypen der zuvor eingeführten Familie der ADAMs und zeigen einen analogen strukturellen Aufbau. Hierbei enthält die prozessierte Form der a-Untereinheit ein potentielles Fusionsprotein, ähnlich denen, die auch schon bei viralen Krankheitserregern gefunden werden konnten. Die b-Untereinheit zeichnet sich durch eine Disintegrin-Domäne aus, die Analogien zu löslichen Integrin-Liganden in Schlangegiften aufweist (Blobel et al, 1992; Barker et al., 1994). Ein wesentlicher Unterschied der beiden Untereinheiten liegt jedoch in der Metalloproteinase-Domäne. Diese weist in der a-Untereinheit die aktive Konsensussequenz (HEXXHXXGXXH) der zinkabhängigen Proteinasen auf, so daß eine proteolytische Aktivität wahrscheinlich ist. Der Metalloproteinase-Domäne der b-Untereinheit fehlt diese Konsensussequenz, mit der Ausnahme der konservierten Glycin- und Aspartat-Reste, was zumindest eine ähnliche Faltung impliziert (Gupta et al., 1996). Die Funktion der restlichen Domänen ist bis heute unbekannt und Gegenstand der aktuellen Forschung.


Abb. 1: Domänen-Struktur von Fertilin a und b.

Die erstmalige Entdeckung dieses Heterodimers gelang Primakoff im Jahre 1987, als er beobachtete, daß zwei verschiedene monoklonale Antikörper (mAK PH-30 und mAK PH-1) zwar das gleiche Antigen binden, auf diesem jedoch anscheinend unterschiedliche Epitope erkennen (Primakoff et al., 1987). Dieser Befund wurde durch die Beobachtung gestützt, daß die Bindung des Antikörpers mAK PH-30 zu seinem Antigen durch Inkubation mit einem Detergenz bei hoher Temperatur gelöst werden konnte, wohingegen die Bindung des Antikörpers mAK PH-1 bestehen blieb. Primakoff fand weiterhin, daß der monoklonale Antikörper mAK PH-30 die Gametenfusion beim Meerschweinchen in konzentrationsabhängiger Weise zu inhibieren vermochte. Im Vergleich dazu zeigte der Antikörper mAK PH-1 keinerlei Beeinflussung der Gametenfusion. Das Antigen des Antikörpers mAK PH-30 besteht aus zwei Polypeptidketten mit einem Molekulargewicht von 44 und 60 kDa, welche am hinteren Ende des Spermienkopfes lokalisiert sind. Der Antikörper mAK PH-30 war in der Lage, die Gametenfusion zwischen Akrosom-reagierten Spermatozoen und Zona pellucida-freien Oozyten zu inhibieren. Darüberhinaus ist es bemerkenswert, daß die beiden Antikörper erst mit Spermien aus dem Bereich der Cauda Epididymis reagieren, nicht jedoch mit testiculären Spermatozoen oder solchen aus den ersten Segmenten der Epididymis (siehe Abbildung 2).

Man vermutet, daß prozessiertes Fertilin b über seine Disintegrin-Domäne mit Integrinen in der Plasmamembran der Oozyte in Wechselwirkung tritt. Hinweise auf einen derartigen Zusammenhang finden sich durch die Beobachtung, daß die Bindung der Spermatozoen an die Oozyte durch Addition von QDE-Tripeptiden inhibiert werden kann (Evans et al., 1995). QDE-Tripeptide sind ein maßgebliches Strukturmotiv innerhalb des Disintegrin-Domäne von Fertilin b und für seine Ligandeneigenschaften mitverantwortlich. Die Disintegrin-Domäne der bis jetzt untersuchten Spezies enthält diese Tripeptid-Sequenz in einem "Loop", in welchem nur der Glutamat-Rest hochkonserviert zu sein scheint und die ersten beiden Aminosäuren variabel sind. Einschränkend muß jedoch hinzugefügt werden, daß auch Tripeptide, die nicht vollständig mit der Konsensussequenz des zu inhibierenden Disintegrins übereinstimmen, dennoch die Bindung an das komplementäre Oozyten-Integrin hemmen können.

In Erweiterung dieses Konzeptes sollte die Bindung von Fertilin b an Zona pellucida-freie Oozyten auch durch die Zerstörung der Oozyten-Oberflächenstruktur - und somit der in der Plasmamembran verankerten Integrine - zu inhibieren sein. Tatsächlich zeigten mit Chymotrypsin vorinkubierte Oozyten eine drastisch verminderte Bindung von rekombinant dargestelltem Fertilin b (Evans et al., 1997). Zusammengenommen unterstützen diese Beobachtungen die Modellvorstellung einer Integrin-Disintegrin-Wechselwirkung beim Zusammenkommen von Spermatozoon und Oozyte. Die Rolle des Fertilin a während der Gametenfusion besteht vermutlich in der Einleitung der Fusion der betreffenden Plasmamembranen. Beim Meerschweinchen enthält die a-Untereinheit einen 22 Aminosäuren umfassenden Bereich mit stark hydrophoben Aminosäure-Resten, der starke Sequenzhomologien zu viralen Fusionsproteinen aufzeigt (Blobel et al., 1992; Hernandez et al., 1996).

Die Prozessierung von Fertilin in vivo

Einer der bemerkenswertesten Aspekte der Prozessierung von Fertilin in vivo ist die Tatsache, daß sich die Lokalisation des Fertilin-Heterodimers im Laufe der Spermatozoen-Reifung ändert. Während testiculäres Fertilin über die gesamte Oberfläche der Spermatozoen-Plasmamembran verteilt vorliegt (gelber Farbsaum), findet es sich nach der Passage durch die Epididymis nur im hinteren Bereich des Spermienkopfes wieder (roter Farbsaum). Hierbei wird Fertilin b als 85 kDa großes Zymogen in den Testis exprimiert und im Bereich II der Epididymis eine 75 kDa große Form übergeführt (siehe Abbildung 2).


Abb. 2: A) Verteilung des Fertilin-Heterodimers auf der Spermienoberfläche. Die Epididymis wird hierbei in vier Bereiche (I-IV) eingeteilt, in denen charakteristische Verteilungen des Fertilin-Heterodimers gefunden werden (Modifizierte Zeichnung nach Hunnicutt et al., 1997). B) Modell für die proteolytische Prozessierung von Fertilin a und b. Intrazelluläre Subtilisin-Typ Pro-Protein-Konvertase spaltet bevorzugt am C-terminalen Ende von vier aufeinanderfolgenden Arginin-Resten.

Mit dieser Prozessierung ist eine Umverteilung des Fertilins auf der Oberfläche der Plasmamembran verbunden, wobei diese Hypothese durch den Befund untermauert wird, daß bei testiculären Spermatozoen durch Inkubation mit Trypsin (Schritt b und c) unter milden Bedingungen eine Umverteilung des Fertilin-Heterodimers induziert werden kann (Phelps et al., 1990). Hat das Heterodimer im Bereich III der Epididymis den hinteren Bereich des Spermienkopfes erreicht, erfolgt die endgültige proteolytische Prozessierung zur 28 kDa großen Form des Fertilin b. Die Maturation der b-Untereinheit ist somit im Bereich IV, der sogenannten distalen Cauda Epididymis, beendet (Blobel et al., 1990).

Abbildung 2 B gibt einen abschließenden Überblick über die möglicherweise an der Prozessierung des Fertilin-Heterodimers beteiligten Proteinasen. Die a-Untereinheit wird vermutlich schon intrazellulär innerhalb der Testis in ihre prozessierte Form übergeführt, woran eine zur Subtilisin-Familie gehörende intrazelluläre Pro-Protein-Konvertase (Schritt a) beteiligt zu sein scheint (Lum und Blobel, 1997). Ein Hinweis darauf geben die vier zum N-Terminus gehörenden Arginin-Reste, die charakteristisch für die Erkennungssequenz der intrazellulären Pro-Protein-Konvertasen sind. Der intrazelluläre Prozessierungsweg ist deswegen wahrscheinlich, da auf der Zelloberfläche bisher nur prozessiertes Fertilin a nachgewiesen werden konnte, wobei eine Prozessierung kurz nach dem Erscheinen auf der Zelloberfläche nicht vollständig ausgeschlossen werden kann. Die Rolle der nichtaktiven Metalloproteinase-Domäne von Fertilin b liegt möglicherweise in der Regulation der Freisetzung der aktiven Disintegrin-Domäne (Lum und Blobel, 1997), ein Konzept, das auch schon für die Regulation und Aktivierung von anderen Integrin-Liganden vorgeschlagen worden ist (Haas und Plow, 1994).